Mai





Im Schulgarten


Trotz der beschwerlichen Anfahrt war er rechtzeitig eingetroffen.

Ihm blieb noch Zeit,
einen Rundgang über das Schulgelände zu machen,
das restaurierte Torhaus in Augenschein zu nehmen und sich im
Schulgarten auf die Bank unter der blühenden Kastanie zu setzen.

Er atmete tief durch und schloss die Augen:
„Da bin ich wieder“,
sagte er und sog genüsslich den Duft der blühenden Bäume
und des frisch gemähten Grases ein.

Er war entspannt
und mit sich und seiner Welt zufrieden.
Er freute sich auf das Schulfest,
auf das Wiedersehen mit seinen Schulfreunden,
auf die zahlreichen Darbietungen der Schüler
und auf interessante Gespräche.

Er muss eingeschlafen sein.
Ein tiefes Donnergrollen des aufziehenden Gewitters weckte
ihn auf.
In einiger Entfernung hastete
ein Mädchen in weißem Kleid über den Rasen.
In der Hand hielt sie ihre Sandalen.
Sie hatte es eilig und schien ihn nicht zu bemerken.
Bei der Platane blieb sie für einen Moment stehen,
dann setzte sie ihren Lauf fort,
überquerte die kleine Saalebrücke und verschwand aus seinem Blickfeld.

„Ob sie es noch geschafft hat?“, dachte er,
als der Regen einsetzte.

Vor seinen Augen sah er seine Klassenkameradinnen von
damals, wie sie jung und unbeschwert durch den Schulgarten
zogen. Weiße Kleider besaßen sie allerdings nicht.

1949 wurden die ersten Mädchen in Schulpforte aufgenommen,
1951 waren es bereits 45, und bei seinem Eintritt in die Schule
war das Zahlenverhältnis in seiner Klasse ziemlich ausgewogen.
Die Mädchen wurden damals, wie es in einer Dokumentationsschrift heißt, „mit beachtenswerter Intensität“ gefördert.

Nachdem Schulpforte vierhundert Jahre lang eine reine
Jungenschule war, sind inzwischen die Mädchen deutlich in der Mehrheit.

Das Mädchen im weißen Kleid dürfte eine von ihnen gewesen sein.



Juni






                              Das Rosenband

                        Friedrich Gottlieb Klopstock
                                (1724 – 1803)


                   Im Frühlingsschatten fand ich sie,
                  Da band ich sie mit Rosenbändern:
                 Sie fühlt’ es nicht und schlummerte.

                    Ich sah sie an, mein Leben hing
                   Mit diesem Blick an ihrem Leben:
                Ich fühlt’ es wohl und wußt’ es nicht.

                   Doch lispelt’ ich ihr sprachlos zu
               Und rauschte mit den Rosenbändern:
                 Da wachte sie vom Schlummer auf.

                   Sie sah mich an, ihr Leben hing
                 Mit diesem Blick an meinem Leben,
                     Und um uns ward’s Elysium.

----------

Klopstock war neunundzwanzig Jahre alt und genoss bereits Anerkennung als freischaffender
deutscher Dichter,
als er auf dem Wege nach Dänemark in Hamburg Zwischenstation machte
und Meta Moller kennenlernte.
Er heiratete sie 1754.
Ihr hatte er das Gedicht gewidmet.


Ich weiß nicht, ob Klopstock sich während seiner Schulzeit für
Rosen interessierte. Sicher wissen wir aber,
dass schon die Mönche in ihrem Klostergarten Rosen gehegt
und gepflegt haben.

Heute findet man diese nur vereinzelt auf dem Gelände:
das Rosenbeet vor der Kirche und
die Strauchrose am Fürstenhaus.

Eine Kalenderfreundin
schickte mir ein historisches Schwarz-Weiß-Foto vom Portal
der Evangelistenkapelle mit Maria und dem Christuskind.
Deren Mutter hatte es 1938 aufgenommen.
Auf der Aufnahme sieht man
das Portal von einer üppigen Heckenrose umrankt, welche
der Madonnenstatue seine besondere Wirkung verleiht.



Juli




Pfortas berühmte Schüler

Nicolaus Lutze aus Kindelbrück in Thüringen war der erste
alumnus portensis.
Als er am 1. November 1543 nach Pforte kam, gab es dort noch keine Lehrer, geschweige denn einen „Rector“. Auch die ehemaligen Klosterräume waren für den Schulbetrieb noch nicht hergerichtet. Der Verwalter kümmerte sich zunächst um Nicolaus Lutze.
Über seine Schulkarriere und seinen Lebensweg ist nichts
bekannt, das Internet kennt ihn aber als den ersten Pfortenser!

Andere folgten ihm nach.
Bereits 1568 lebten 150 Knaben in der Schule, obwohl die
damaligen Erziehungs-, Wohn- und Schulbedingungen aus
heutiger Sicht geradezu „unzumutbar“ waren.
Sie und alle späteren Schüler sind in dem berühmten Stammbuch verzeichnet.
Die große Wende kam erst, als 1815 die Schule von Preußen übernommen wurde und Berliner Reformer für zeitgemäße
Schul- und Lebensbedingungen sorgten.

Obwohl das Unterrichtsprogramm in früheren Zeiten eng
angelegt und auf die alten Sprachen und die Kultur des Altertums ausgerichtet war, engagierten sich ehemalige Schüler in sehr unterschiedlichen Fachrichtungen und gewannen große
Bedeutung.

Die Philosophen Fichte und Nietzsche sind allseits bekannt.
Friedrich Gottlieb Klopstock war nicht Pfortas einziger Dichter.
Der unselige Ernst Ortlepp fühlte sich der Schule sein Leben
lang eng verbunden. Ranke und Lamprecht waren anerkannte Historiker, Richard Lepsius der berühmte Ägyptologe. Ehrenberg verdanken wir nicht nur die Kastanie im Primanergarten, er hat
die neuere Zoologie wesentlich geprägt, wie Hildebrand die Volkswirtschaftslehre, Schulze-Gävernitz die Landwirtschaftslehre und von Auwers die Astronomie.
Dass Pforte zahlreiche Philologen, Theologen und Musiker hervorgebracht hat, darf nicht verwundern. Erwähnenswert ist außerdem, dass Fritz Hofmann ein erfolgreicher Chemiker war und Ludwig Krug von Nidda ein bedeutender Geologe.

Dass Pfortenser aufgrund ihrer humanistischen Bildung nicht nur über intellektuelle Fähigkeiten verfügten, sondern sich auch im politischen Geschäft zu behaupten wussten, beweisen Bethmann-Hollweg, der Reichskanzler war, und die zahlreichen Beamten und Militärs, die Spitzenpositionen bekleideten. (Über sie spricht man weniger!) Nicht vergessen darf ich in meiner sicher
unvollständigen Aufzählung Hans am Ende,
den Worpsweder Maler, für den ich besondere Sympathie habe.

Meine Aufzählung soll aufzeigen, dass trotz der damaligen Unterrichts- und Erziehungsmethoden die Schüler Fähigkeiten entwickeln konnten, mit denen sie nobelpreiswürdige Leistungen erzielten.
Jüngere Generationen sollten die Erfolge ihrer Vorfahren als
Ansporn sehen.

Die Aufnahme zeigt das neue Schul- und Aulagebäude von 1888,
das inzwischen weitgehend hergerichtet ist und beste Voraussetzungen für einen modernen Schulbetrieb bietet.
Das Foto entstand im Mai 2014. Inzwischen wurde der Baum zwischen der Linde und dem Mühlengebäude gefällt.



August




Pfortas Äbte

Die Äbte des Klosters Pforta waren
in seiner Glanzzeit mächtig und einflussreich.
Pforta verfügte schon bald nach seiner Gründung über große Ländereien, besaß die Visitationspflicht über zahlreiche Klöster
und erwarb in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts größeren Grundbesitz und die
‚Gerichtsbarkeit über Hals und Hand’ von den Landesherren.
Wie man weiß, übte das Kloster dieses Recht auch aus, wovon
der
Galgenberg und der Marterboden heute noch zeugen.

Die Papsturkunde vom 29. April 1206 sicherte dem Orden und
dem Kloster Pforta unbeschränkte Rechte zu und machte es unangreifbar.

Adalbertus aus Walkenried war der erste Abt. Er bekleidete zuvor
in Schmölln dieses Amt.
Petrus Schederich war Pfortas letzter Abt, er musste das Kloster auflösen.
Großes leistete Abt Winemar (1196 – 1236).
Unter seiner Leitung nahm Pforta eine außergewöhnliche
Entwicklung. Er besaß das Vertrauen des Papstes und verfügte
über beste Verbindungen zu den Herrschenden seiner Zeit. So mancher Vertrag wurde in Pforta geschlossen,
so mancher weltliche Streit dort geschlichtet.

Wie lebten die Äbte,
die über so viel Macht und Einfluss verfügten?
Das Portal zeigt den Zugang zur „zweiten Abtei“; die „alte Abtei“
lag westlich vor der Kirche, wo heute im Vorgarten des Verwaltungsgebäudes das Gartenhäuschen steht. In den
„ältesten Zeiten“ (so Corssen) wohnten die Äbte in einfachen
Zellen wie die Mönche und schliefen wie diese in einem großen Schlafsaal (Dormitorium). Später wurden in den großen und
reichen Klöstern die Abteien großzügig und oft prunkvoll ausgestaltet, so dass die Äbte vornehme und wichtige
Besucher gebührend empfangen und bewirten konnten.

Die verbliebenen Relikte der Abtei deuten nicht darauf hin, dass
die Äbte in Pforta besonders protzig lebten. Die Abtei war ein
großer zweigeschossiger Bau mit vielen Räumen, einer eigenen Kapelle und großen Gasträumen.
An seiner Stelle steht heute das Fürstenhaus, das nach der Auflösung des Klosters in den
Jahren 1573-75 auf den baulichen Überresten errichtet wurde.

Für uns ist heute das Portal ein Durchgang in den Schulgarten
und zur Abtskapelle. Es hat einen Spitzbogen und eine
geometrische Zierleiste zwischen dem wulstartigen Ornament. Auffallend sind die doppelten Schaftringe an den schlanken
Säulen. Sie bereichern das grazile Portal.